Historische Filme im Ortsmuseum Flawil
Beim Räumen der letzten Überbleibsel in den Fabrikliegenschaften der Habis Textil AG und der Villa Waldhof der Familie Habisreutinger-Ottiker sind vier Filme aufgetaucht, die inzwischen von den Nachfahren als Schenkung ins Ortsmuseum Flawil übergegangen. Die vier Nitratfilme sind als Deposita beim Verein Lichtspiel / Kinemathek in Bern eingelagert und inzwischen digitalisiert. Sie zeigen bereits erste Anzeichen von Zersetzung, eine Sicherung war also allerhöchste Zeit.
Es sind
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Belegschaft der Weberei Ottiker verlässt die Weberei (Titel vom Archivar vergeben)
Kurzfilm von ca 2 Minuten, aufgenommen zwischen ca. 1900 und 1905 (sicher spätestens Herbst 1908)
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Mittagsstündchen 1927
Kurzfilm von ca. 2 Minuten, aufgenommen im Park der Villa Waldhof Flawil. Beim Pavillon trifft sich die Familie Habisreutinger-Ottiker, möglicherweise bei Apéro oder Nachtisch.
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Die Rolle der Baumwolle in unserer Nationalen Industrie / Film 1
(ca. 20 Minuten) zeigt folgende Szenen:
• Gewinnung der Baumwolle in Afrika*
• Auslad (Löschung) von Baumwollballen im Hafen (von Rotterdam)*
• Transportschiffe auf dem Rhein*
• Rheinbrücken und Hafen von Basel mit Ladekränen*
• Ankunft eines Güterzuges im Bahnhof von Zweidlen
• Ausland am Bahnhof und Transport der Baumwollballen in die Spinnerei Letten (gehörte damals zu Habisreutinger-Ottiker)
• Verarbeitung der Baumwolle in der Spinnerei Letten
• Abtransport von Spindeln aus der Spinnerei Letten.
*(vermutlich) eingefügte Kopien aus anderen Filmen) -
Von der Baumwolle bis zum Tuch – In den Fabriken der Firma Habisreutinger-Ottiker A.-G., Flawil (später Habis Textil AG)/ Film 2 (ca. 20 Minuten) zeigt u.a.
• Ankunft des Habis-Lastwagens in der Weberei Habisreutinger-Ottiker in Flawil
• Empfang zweier Geschäftsleute durch die Geschäftsleitung (Besitzer Habisreutinger und – mutmasslich – Geschäftsführer)
• Weiterverarbeitung der Garnspindeln in der Weberei zum fertigen Tuch in den einzelnen Betriebsbereichen
• Verlad und Abtransport der Stoffballen mit dem Lastauto
• Arbeiten im Musterzimmer (u.a. mit Tochter Julita (Schiess-) Habisreutinger
• «Auszug» der Belegschaft aus der Fabrik.
Bisherige Erkenntnisse
Film 1 ist in einer Schachtel von Fotograf Gimmi, Flawil, aufbewahrt.
Handschriftlich ist der Hinweis auf Kinematograph Dahlmann-Fasold, St.Magnihalden, St. Gallen, angebracht. Gemäss Auskunft von Frau Brigitte Paulowitz, Leiterin Filmsammlungen Lichtspiel Bern, habe Dahlmann seine Tätigkeit 1900 aufgenommen und später seinen Sitz verlegt. Die Aufnahmezeit begrenze ich derzeit auf 1905, da zwei vergleichende Aufnahmen vom Habis-Areal von 1898 und 1905 den im Film ersichtlichen Baum auf dem älteren Bild zeigen, im Bild von 1905 ist er nicht mehr erkennbar. Im Film ist der Betriebsinhaber Huldreich Ottiker
erkennbar, wie er mit seinen Angestellten von der Fabrik weggeht. Ottiker ist im Februar 1909 gestorben. Die Aufnahmen sind also mit Sicherheit spätestens im Herbst 1908 (belaubter Baum) entstanden. Damit verliert »Die Vierfache Fahnenweihe 1912 auf der Flawiler Weidegg» aus der Sammlung Leuzinger (laut Zeitungsartikeln gedreht auch von Dahlmann-Fasold) ihren Status als ältester Film des Kantons St.Gallen. Flawil belegt meines Wissens also neu die Plätze 1 und 2 dieser Rangliste.
Film 2 zeigt die Familie Adolf und Julie Habisreutinger-Schiess mit Sohn Rolf und Tochter Julita vor dem Pavillon im Waldhof-Park.
Die Jahreszahl 1927 im Filmtitel könnte darauf hindeuten, dass der Film zusammen mit den Aufnahmen für die Filme 3 und 4 entstanden ist.
Filme 3 und 4 sind in einem Habis-Fabrikkeller gefunden worden, eingelagert in zwei Blechdosen in einer mit Holzwolle gefüllten Kiste. Diese war von der Spinnerei Letten AG, Glattfelden von Zweidlen an Oberst Habisreutinger-Ottiker, im Waldhof, spediert worden. Auf der Kiste ist u.a. die Bleistiftnotiz lesbar «Ausstellung St.Gallen 1924», was wahrscheinlich ein Schreibfehler ist und 1927 heissen sollte. Die Teilnahme der Weberei Habisreutinger-Ottiker AG an dieser Ausstellung bestätigt die ebenfalls vorgefundene Urkunde.
Die beiden Filme könnten in Kooperation zwischen Office Cinematographique S.A. Lausanne (im Abspann ersichtlich) und Habisreutinger im Hinblick auf die Ausstellung in St.Gallen produziert worden sein. Einzelne Film-Zwischentitel deuten noch auf Mitwirkung von Walz & Co., St.Gallen hin (Filmbearbeitung / Betitelung?).
Die vier Filme sind aus unserer Sicht ausserordentliche und einzigartige film- und industriegeschichtliche Zeitdokumente.
Verein Ortsmuseum Flawil
Urs Schärli